
Erst mal durchatmen – Wie emotionale Distanz uns innerlich stark macht
Neulich erzählte mir eine Klientin von einem Moment, der sie sehr beschäftigt hat.
Sie hatte sich mit viel Sorgfalt auf eine Präsentation vorbereitet – und gleich danach kam ein spöttischer Kommentar von einem Kollegen: „Na ja, da wäre sicher noch Luft nach oben.“
„Ich war sofort auf 180“, sagte sie. „Hab mich verteidigt – und danach tagelang gegrämt. Nicht nur über ihn, sondern auch über mich selbst.“
Vielleicht kennst Du solche Situationen auch?
Ein Wort, ein Blick, ein Tonfall – und schon sind wir mittendrin in einer Gefühlswelle. Ärger, Scham, Verletzung. Und oft reagieren wir schneller, als es uns guttut.
Reiz – Reaktion: Und dazwischen?
Was viele überrascht: Zwischen dem, was uns begegnet – und dem, wie wir reagieren – liegt ein kleiner, aber kraftvoller Moment.
Ein Augenblick der Wahl. Ein innerer Zwischenraum, in dem wir entscheiden können, wie wir mit der Situation umgehen möchten.
Und genau dort entsteht Resilienz.
Ein Schritt zurück – nicht weg, sondern hin zu Dir selbst
In seinem Buch „Der resiliente Mensch“ beschreibt der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch eindrucksvoll, wie entscheidend unsere innere Bewertung für unser Wohlbefinden ist.
Es sind oft nicht die Ereignisse selbst, die uns belasten – sondern das, was wir daraus machen.
Und genau deshalb ist es so wertvoll, einen Schritt zurückzutreten. Nicht, um zu flüchten – sondern um klarer zu sehen.
Diese bewusste emotionale Distanz ist wie ein Anker im Sturm:
Sie gibt Dir Halt, wenn es im Außen unruhig wird.
Was emotionale Distanz bedeutet – und was nicht
Emotionale Distanz heißt nicht, sich abzuschotten oder Gefühle zu unterdrücken.
Im Gegenteil: Sie lädt uns ein, hinzuschauen – aber mit etwas mehr Ruhe. Mit mehr innerem Spielraum.
Sie hilft uns, nicht alles sofort persönlich zu nehmen. Sie schützt uns vor impulsivem Reagieren – und öffnet den Blick für konstruktive Möglichkeiten.
Gerade in stressigen, fordernden Momenten macht das einen echten Unterschied.
Und wie trainierst Du diesen Zwischenraum?
Diese innere Freiheit ist nichts, was man „hat“ oder „nicht hat“. Sie lässt sich üben – sanft und im Alltag verankert:
- Einmal tief durchatmen, bevor Du antwortest.
- Fragen stellen: Was berührt mich gerade so sehr? Was könnte noch hinter dem Verhalten des anderen stehen?
- Den Blick weiten: Was würde eine außenstehende Person sagen?
- Pausen zulassen: Du musst nicht sofort reagieren. Du darfst Dir Zeit nehmen.
Und: Sei geduldig mit Dir. Niemand reagiert immer besonnen. Auch das Innehalten will gelernt sein – Schritt für Schritt, mit Nachsicht und Freundlichkeit sich selbst gegenüber.
Jede kleine Veränderung zählt.
Fazit: Resilienz beginnt mit einem Atemzug
Vielleicht ist es genau dieser kleine Moment – zwischen Reiz und Reaktion – der uns wachsen lässt.
Der uns zeigt, dass wir nicht ausgeliefert sind, sondern gestalten können.
Dass wir innehalten dürfen, um dann kraftvoller weiterzugehen.
Und genau in diesem Zwischenraum liegt oft etwas sehr Kostbares:
Freiheit. Selbstrespekt. Und die leise Gewissheit: Ich habe eine Wahl.
Literaturtipp:
Kalisch, R. (2015). Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. München: Piper Verlag.